| Vor knapp zwei Jahren hatte Erni Singerl noch einmal
  einen umjubelten Auftritt, der für eine Dame von 82 Jahren ziemlich
  außergewöhnlich war. In der Kleinen Komödie am Max II spielte sie von
  November 2003 an für einige Wochen die Hauptrolle in der Boulevardkomödie
  „Erni greift an“.
 Wahrscheinlich werden die Zuschauer nicht vergessen haben, wie die
  Schauspielerin mit ihrem Kollegen Rolf Kuhsiek einen artistischen Tango aufs
  Parkett legte. Mit voller Wucht knallte sie Abend für Abend aufs Sofa, dann
  stand sie ungerührt wieder auf, um ihren Part als intrigante Haushälterin
  souverän zu Ende zu spielen.
 
 Das Publikum hielt ihr bis zuletzt die Treue. Am vergangenen Samstag starb
  Singerl in ihrem Haus in Trudering, bereits am Dienstag wurde sie im engsten
  Familienkreis auf dem Ostfriedhof bestattet. Zur Verwunderung ihrer
  Weggefährten und Freunde, die ihr nicht die letzte Ehre erweisen durften.
 
 1,54 Meter groß, doch unübersehbar
 
 Erstaunlicherweise fiel Erni Singerl auf Theaterpremieren, bei
  Zirkusvorstellungen, ja selbst im dichten Gedränge eines Bierzelts auf dem
  Oktoberfest sofort auf. Obwohl sie gerade mal 1,54 Meter groß war und eher
  auf höfliche Distanz bedacht, ragte sie heraus im Pulk der Münchner Prominenz:
  eine akkurat gekleidete, äußerst lebhafte Dame, die von ihren Gastgebern
  gerne hofiert wurde und sich auch nicht ungern hofieren ließ.
 
 Was verständlich ist, denn einerseits garantierte die geborene Münchnerin,
  die am 29. August 1921 in der Osterwaldstraße in Schwabing als Ernestine
  Kremmel zur Welt kam, für ein volles Theater und gute Einschaltquoten.
  Andererseits war sie eben eine unterhaltsame Erscheinung, die kein Blatt vor
  den Mund nahm.
 Zum Beispiel bei der Einweihung eines Münchner Biertempels vor zwei Jahren,
  als sie zwischen lauter Weißbiertrinkern demonstrativ ein Glas Rotwein hob
  und mit ihrer Unverwüstlichkeit kokettierte: „Das ist gut fürs Herz!“
 
 Entdeckt von Weiß Ferdl
 
 Um die schauspielerische Leistung dieser im besten Sinne bayerischen Schauspielerin
  zu würdigen, müsste man weit ausholen oder eine Filmographie schreiben, die
  ein halbes Jahrhundert umfasst.
 
 Entdeckt wurde sie einer durchaus glaubhaften Legende nach vom Münchner
  Volksschauspieler Weiß Ferdl, der bei einem Vorstellungsgespräch 1937 in
  seinem Theater am Platzl von ihren Gesangs- und Tanzkünsten beeindruckt war,
  aber der talentierten jungen Frau den Ratschlag gab, sich doch besser einen
  Künstlernamen zuzulegen.
 
 Nach dem Krieg und einer kurzen Ehe mit einem Soldaten machte Erni Singerl
  als Darstellerin in unzähligen Filmen neben Hans Moser oder Willy Reichert
  Karriere – vom „Ehestreik“ aus dem Jahr 1953 bis hin zur Fernsehfassung des
  Schwanks „Die wilde Auguste“ 1997.
 
 Allein im BR-Dauerbrenner „Komödienstadel“ war sie in mehr als 50 Rollen zu
  sehen, meist als schlagfertige, gewitzte Münchnerin mit einem Hang zur
  Boshaftigkeit.
 
 Pointen zwischen Tür und Angel
 
 Dass sie immer wieder als Haushälterin oder, wie in der Serie „Meister Eder
  und sein Pumuckl“, wahlweise auch als Hausmeisterin zu erleben war, lag wohl
  an ihrer seltenen Gabe, selbst in kurzen Sequenzen, gleichsam zwischen Tür
  und Angel, das Publikum mit schnarrender oder einschmeichelnder Stimme zum
  Lachen zu bringen. „Sie war absolut pointensicher und wusste, wie die Leute
  auf sie reagieren“, sagt ihr langjähriger Bühnenkollege Rolf Kuhsiek.
 
 Unvergesslich bleibt Erni Singerl als Haushälterin Irmgard in Helmut Dietls
  Kultserie „Monaco Franze – der ewige Stenz“ (1983). Man darf ohne
  Übertreibung behaupten, dass der Titelheld, gespielt von Helmut Fischer, ohne
  die resolute Unterstützung seiner Irmgard hoffnungslos verloren gewesen wäre:
  Allein schon weil der Monaco Franze nie zu seinem triumphalen Auftritt als
  angeblicher Opernkenner im Nationaltheater gekommen wäre. Schließlich
  überreicht ihm seine treue Irmgard in letzter Minute vor der Premiere den
  Smoking, den er zu Hause vergessen hat.
 
 Auf den Leib geschrieben
 
  Muttertag: 
                Erni Singerl als Babys Mutter in Dietls Kultserie "Kir 
                Royal"
 (Photo: BR)
 Bei den Dreharbeiten musste Erni Singerl für diese berühmte Szene übrigens
  bis nachts um drei warten, bis sie an der Reihe war, was sie ihrem Regisseur
  aber rasch verzieh. Sie war Dietl dankbar, dass er ihr eine Rolle als echte
  Münchnerin auf den Leib geschrieben hatte, „ohne dass ich eine Zeile ändern
  musste, wie das bei anderen Drehbüchern oft nötig ist“.
 
 Auch deshalb sagte Singerl sofort zu, als Dietl sie „Kir Royal“ als Mutter
  des Klatschreporters Baby Schimmerlos engagierte. Das schauspielerische
  Gipfeltreffen von Erni Singerl mit dem Obergrantler Franz Xaver Kroetz sollte
  in jeder DVD-Sammlung zu finden sein: Erni Singerl als besorgte und
  putzwütige Frau Schimmerlos, die ihren Bub auf den rechten Weg bringen will
  und seine Bettgespielin aus der Wohnung wirft, zählt zu den Höhepunkten in
  „Kir Royal“.
 
 (SZ vom 4.8.2005)
   |